Vorgereist

Letizia Battaglia (*1935 in Palermo/Sizilien)

Photographin und Antimafia-Aktivistin

Einmal, als ich nur noch weg wollte, bin ich für acht Tage nach Grönland geflogen. Und was finde ich dort auf der Speisekarte: Pizza Mafia!“

Palermo mit seinen arabischen Spuren aus dem 9. Jahrhundert und den verfallenen Barockpalästen, Kirchen und Plätzen haftet der Hauch von Morbidität nicht nur in seinen Bauten an. Die Stadt war von Anfang bis Ende des 20.Jahrhunderts beherrscht von der Mafia, deren Zwiste, Kriege und Bedrohungen in den 80er und 90er Jahren ihren Höhepunkt erreichten. Als wichtige Chronistin dieser Zeit, in der ganz Sizilien von Mord und Korruption gelähmt war, gilt Letizia Battaglia, die die Losung für ihr Engagement gegen die „Ehrenwerte Gesellschaft“ schon in ihrem Namen trägt: „Battaglia“ bedeutet Kampf.

Von 1974 bis 1990 arbeitete sie als Berichterstatterin und Photographin für die linke Tageszeitung „L'Ora“: In der Dunkelkammer hörte sie den Polizeifunk ab und sauste mit ihrer Vespa zu den damals täglichen Mafiamorden, um als erste am Tatort zu sein.  So sind ihre Bilder unmittelbare Zeugnisse barbarischer Brutalität, aber auch von Trauer und Leid der betroffenen Familien. Sie hat ihre Photos, die eine erschütternde Alltäglichkeit im Morden zeigen,  später direkt auf der Straße ausgestellt oder an Hauswände geklebt, um den verängstigten und resignierten Menschen zu sagen: schaut her, das ist eure Stadt, ihr müsst etwas tun!

Dieser Kampfgeist war ihr nicht unbedingt mitgegeben. Geboren in einer Zeit unverrückbarer patriarchaler Strukturen wuchs sie die ersten Lebensjahre in Triest auf, bevor die Familie wieder zurück nach Palermo zog.

Der Vater steckte sie in eine Klosterschule und sperrte sie nachmittags zu Hause ein, weil es sich für ein Mädchen nicht schickte, auf der Straße zu spielen. Um diesem Tyrannen zu entkommen, heiratete sie mit sechzehn Jahren den Erstbesten, der sie fragte, und zog mit ihm nach Mailand. Sie brachte kurz hintereinander drei Töchter zur Welt, doch kam sie mit der ehelichen Rollenzuschreibung kaum zurecht. Als sie den Wunsch äußerte, zu studieren, erklärte ihr Ehemann sie kurzerhand für verrückt. Erst Jahre später gelang es ihr, über die Stationen eines Nervenzusammenbruchs und einer Psychoanalyse, aus ihrer Ehe auszubrechen. Sie nahm ihre drei Töchter mit und begann mit 36 Jahren ein neues Leben als Journalistin und Photographin. Zurück im Palermo der siebziger Jahre konnte sie jetzt ihre Ziele formulieren. Hinschauen – auf überkommene Moralvorstellungen, auf kleinmütiges Bürgertum, auf präpotente sizilianische Männer, auf den kriminellen „Ehr“begriff der Mafia – hat sich seitdem als Devise in ihre Arbeit eingeschrieben.

Anfang der 1990er Jahre, als sich unter dem später ermordeten Richter Falcone zum ersten Mal etwas im Kampf gegen die Mafia tat und die Stadt einen aufgeschlossenen Bürgermeister gewählt hatte, wurde Letizia Battaglia grüne Stadträtin für Lebensqualität in Palermo. Sie warf sich in die Politik und schuf die erste nennenswerte Kulturförderung der Stadt. An der Promenade am Meer, wo zuvor Müll abgeladen wurde, stehen bis heute die Palmen, die sie pflanzen ließ; Fußgängerzonen, befriedete kleine Plätze und die Restaurierung maroder Gebäude gehen auf ihr Programm zurück. In dieser Aufbruchszeit war sie Mitbegründerin der feministischen Zeitschrift „Mezzocielo“ und hatte einen eigenen Buchverlag, den sie nach einem eindeutigen Wink der Schutzgeldmafia wieder aufgab.

Als Letizia Battaglia 2007 in Deutschland den Erich-Salomon-Preis für ihr photographisches Werk verliehen bekam, äußerte sie sich in Interviews melancholisch zu diesen kurzen Jahren einer hoffnungsvollen Entwicklung. In der Ära Berlusconi war sie als Photographin fast vollständig aus der Öffentlichkeit verschwunden.
Ihre 600 000 Schwarz-Weiß-Photos, die über drei Jahrzehnte organisierter Kriminalität und ihren Abdruck in der Zivilgesellschaft dokumentieren, hat sie aus Sicherheitsgründen nach Paris gebracht. Sie weiß: Die Mafia ist präsenter denn je, aber die Grenzen verschwimmen; sie ist modern geworden und unsichtbar.
Die Zeugin der traurigen Verhältnisse, jetzt achtzigjährig, unterbricht sich in einem Interview in der FAZ (24.9.2007) über ihren Lebensweg selbst, als sie plötzlich einschiebt: „Wissen Sie, besser passt mein Vorname zu mir: Letizia, die Freude.“ Ob sie mit der ihr als Ehrenpreis geschenkten Leica nun andere, womöglich farbige Motive sucht, kann uns nur die nächste Ausstellung sagen.

Text: Anne-Felicitas Görtz
Foto: © Ekko von Schwichow
Literatur:
Letizia Battaglia: Passion, Justice, Freedom – Photographs of Sicily. Aperture Foundation, Gordonsville 1999 / Leidenschaft, Gerechtigkeit, Freiheit. Sizilianische Fotos. Zweitausendeins, Frankfurt 1999

Andreas Rossmann: Die doppelte Tragik der Letizia Battaglia. Eine Frau gegen die Mafia: Neue Fotos der Italienerin in der Amsterdamer Galerie Metis. in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13. September 2009, S. 61

„Als sei ich schuldig an dem, was ich gesehen habe“, Portrait von Petra Reski in der Zeit, 20. September 2007
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