Vorgereist

Susanne Knaul

Nahostkorrespondentin, in Jerusalem lebend und Reiseleiterin für Palästina und Israel

„Eigentlich ist schon alles zu spät“, aber dann überlegt sie, was sie doch noch tun könnte.

„Die Besatzung der Palästinensergebiete war noch keine zehn Jahre alt, als ich zum ersten Mal nach Israel kam. Damals blies ich die dritte Posaune in der Blaskapelle unserer Dorfkirche und musste erst im Atlas nach dem Land suchen, das ich bis dahin nur aus den Nachrichten kannte. Golda Meir und der einäugige Mosche Dajan erschienen mir wie Figuren aus einem Roman von Leon Uris, doch bald nahm dieses seltsame kleine Israel, in dem die Juden nach dem Holocaust Unterschlupf suchten, reale Gestalt für mich an.

Die Grenzen zwischen Israel und dem besetzten Land waren offen, Palästinenser kamen tagsüber zur Arbeit nach Israel und fuhren abends zu ihren Familien ins Westjordanland oder in den Gazastreifen zurück. Der politische Konflikt interessierte mich anfangs viel weniger als die Frage, wie die Juden mich als Deutsche aufnehmen würden. Sie taten es mit offenem Interesse, fragend und konfrontativ.

Es sind die Menschen, die mich herzogen, die Israelis, frech, humorvoll, lebenshungrig, und die Palästinenser, das gebeutelte Volk, das sich nicht geschlagen gibt, nicht aufgibt und mit grenzenloser Freundlichkeit stets jeden Gast Willkommen heißt. Das bunte Gemisch von frommen Juden, die noch bei 40 Grad im Schatten ihre Pelzhüte nicht absetzen und in schwarzen Kniebundhosen und Strümpfen vorbeieilen an der alten Araberin, die am Damaskustor auf dem Boden sitzend tagtäglich ihre Kräuter anbietet. Hippies, Mönche, Beduinen, Straßenkünstler, Falafelbäcker. Es sind die Gerüche Jerusalems und der Zitrusplantagen, es sind drei Meere und der See Genezareth, die Wüste und Tel Aviv, wo der Okzident den Orient standhaft in Schach hält.

Seit fast 30 Jahren lebe ich in diesem Land, das mehr und mehr in einen fatalen Sog hineinzugeraten droht. Mit dem Schreibblock und einem Aufnahmegerät in der Tasche immer dicht dran, dort, wo sich etwas bewegt - die erste Intifada und der Beginn des Osloer Friedensprozesses, die Rückkehr der PLO-Führung aus dem Exil mit Jassir Arafat an der Spitze, die Ermordung von Izchak Rabin. Über Jahre schien die Lösung greifbar nah zu sein, bis Fanatiker auf beiden Seiten die Hoffnung zerplatzen ließen. "Eigentlich ist schon alles zu spät", sagt eine israelische Freundin, und „eigentlich ist schon alles zu spät“, sagt eine palästinensische Freundin, und dann überlegen sie, was sie doch noch tun können.“