Vorgereist

Judy Chicago (*1939 in Chicago)

Installationskünstlern, Schriftstellerin

„I am trying to make art that relates to the deepest and most mythic concerns of human kind and I believe that, at this moment of history, feminism is humanism.“

Obwohl in Chicago geboren, war Judy Silvia Cohen, wie ihr eigentlicher Name lautete, als Künstlerin vor allem in Kalifornien beheimatet. Sie studierte Malerei an der „University of California“, wo sie den Master of Arts ablegte. Erst 1971 nahm sie den Namen „Chicago“ an (ein Wink zu ihrem unverwechselbaren Akzent), um einen radikalen Stilwechsel in ihrer Kunst zu markieren. Während in ihren früheren abstrakten Bildern die Geschlechterfrage eher ein Bezugsrahmen war, bildete von da an der feministische Blick und der Protest gegen eine Kunstwelt und Gesellschaft, die von männlichen Stereotypen erfüllt ist, die Triebfeder und Botschaft ihrer Installationen.

Mit ihrer in Lehrveranstaltungen propagierten Weigerung, die ausschließlich männliche Darstellung von weiblichen Körpern weiter hinzunehmen, begründete sie die „Feminist Art“-Bewegung, der sich andere Künstlerinnen wie Louise Bourgeois anschlossen. Sie wussten, wovon sie sprach: Bis zu diesem Zeitpunkt war es für Künstlerinnen schwer, ihre Werke überhaupt in Galerien oder Museen unterzubringen. Doch im Zuge der neuen Bewegung organisierten Frauen eigene Ausstellungsräume und schufen Fördermittel, um sich aus der Abhängigkeit der konservativen Institutionen zu befreien. Ein wichtiges Projekt war das Feminist Art Program, das Judy Chicago zusammen mit ihrer Künstlerkollegin Miriam Shapiro an dem California Institute of the  Arts einrichtete. Unter dem Titel „Woman House“ fand 1972 in einem 17-räumigen verlassenen Haus das erste feministische Performanceprogramm statt, das mit verschiedenen Installationen, Parodien und Verfremdungselementen die Hausarbeit von Frauen zum Thema hatte. Gleichzeitig unterrichtete Judy Chicago an der California University die erste Kunstklasse für Frauen. „Bewusstseinsarbeit“, ein Begriff, der damals frisch geprägt wurde, spielte in ihrem Unterricht eine Schlüsselrolle.

1974 begann sie mit ihrem heute bekanntesten Kunstwerk „The Dinner Party“, das sie erst 1979 zum Abschluss brachte. 1975 erschien ihre Autobiographie mit dem Titel „Through The Flower“, zu der Anais Nin das Vorwort schrieb. Der Buchtitel wurde auch Name für ein Non-Profit-Unternehmen, das sie 1978 gründete und das sie bis heute leitet. Es dient(e) der Promotion ihrer eigenen Kunstinstallationen – von „The Dinner Party“ bis zu ihrem „Holocaust-Project (1985–93) – aber auch einem kunsttheoretischen und -praktischen Bildungsauftrag: Verlagert nach Belen in New Mexico, wo Judy Chicago zusammen mit ihrem Ehepartner, dem Photographen Donald Woodman, ihren Wohnsitz hat, werden Seminare, Workshops und Vorträge gefördert und ein Archiv aufgebaut. Dort ist auch ihr letztes großes Projekt „New Mexico Women’s Cultural Corridor“ angesiedelt.
Am stärksten mit ihrem Namen verbunden bleibt jedoch „The Dinner Party“. Die Installation einer dreieckigen Abendmahltafel mit 39 Gedecken wirkte bei der ersten Ausstellung in San Francisco 1979 auf die Besucher wie ein Schock: Die aus unterschiedlichen Materialien wie Stoff, Glas, Wolle, Keramik gefertigten Teller gleichen Blumen oder Schmetterlingen und spielen so mit der poetischen Abbildung oder Beschreibung  der Vulva. Die Sitzplätze sind ausnahmslos für Frauen reserviert, die in der mythologischen und realen Geschichte eine bedeutende Rolle spielten. 999 weitere Namen finden sich in den Fußboden eingraviert. 100 000 Besucher sahen damals die Ausstellung in den USA, bevor sie durch Europa tourte und dort eine Million Betrachter anzog – es war das erste feministische Kunstwerk. Als Teil der Elizabeth A. Sackler Foundation for Feminist Arts, die das Werk 2002 erwarb, hat „The Diner Party“ nun seinen festen Platz im Brooklyn Museum in New York.
Sich Leben und Bedeutung allein der 39 Dinner Gäste - von Hatschepsut bis Georgia O’Keefe -  ins Gedächtnis zu rufen, geht über den Zeitraum eines Museumsbesuchs weit hinaus. Man kann aber auch eine andere gedankliche Spur verfolgen: Judy Chicago gehört unbestritten zu den Pionierinnen feministischer Kunst, für die Künstlerschaft nicht trennbar war vom biologischen Geschlecht. Kurze Zeit später, schon in den achtziger Jahren, hat diese Kategorie sich – auch in einer neuen Generation – aufgespalten in feinere Untergruppen. Cindy Sherman beispielsweise mit ihrer Imitationskunst weiblicher Rollen oder die Performances von Marina Abramovic sind – zurück über den Fluss nach Manhattan – im MoMa in einzelnen Werken zu sehen.

Text: Anne-Felicitas Görtz
Foto: © Pressephoto http://www.judychicago.com/press.php

Ein Link zu ihr: www.judychicago.com

Judy Chicago: Through The Flower: My Struggle as a Woman Artist. New York, 1975;
Durch die Blume, Verlag neue frau 1984;
Judy Chicago:The Dinner Party: A Symbol of Our Heritage. New York,1979
Judy Chicago /Edward Lucie-Smith: Women and Art: Contested Territory. New York 1999